Michael K.

DENTA_Frankfurt_Foto_Michael_Wolfgang_Krakowka

by Wolfgang K.

 

 

 

Michael wohnt in Wiesbaden. Wiesbaden ist die Hauptstadt des Bundeslandes Hessen und hat etwa 280 000 Einwohner.

 

Michael ist 1942 geboren, mitten im zweiten Weltkrieg, und war bei Kriegsende drei Jahre alt. Weil er damals noch ein kleines Kind war, hat er wenig Erinnerung an eventuell schlimme Zeiten, obwohl seine Eltern Flüchtlinge waren. Er kann sich noch dunkel daran erinnern, dass seine Mutter aus dem damaligen Pommern mit ihm und seinem jüngeren Bruder Richtung Harz geflüchtet ist, während sein Vater damals im Lazarett war. Sie sind dann bei Verwandten im Harz untergekommen. Er ist auch im Harz, in einem Gebiet, das später zur DDR gehörte, 1948 eingeschult worden.

 

In der Stadt Blankenburg ist er bis zur 8. Klasse in die Schule gegangen. Das war damals die Volksschule, die mit der 8. Klasse abschloss. Zu dem Zeitpunkt sind seine Eltern in den Westen Deutschlands übergesiedelt. Damals war das noch möglich, es gab noch keine Mauer, keine bewachte Grenze. Die Familie ist nach Laubach in Hessen gezogen. Dort ist Michael aufs Gymnasium gegangen, zusammen mit seinem Bruder. Er hat Abitur gemacht und anschließend Anglistik und Romanistik in Marburg und Gießen studiert.

 

Er hatte vorher in der sowjetisch besetzten Zone, später DDR, keine Zulassung für die Oberstufe und hatte dann entsprechend schon einen Lehrlingsvertrag unterzeichnet, um Drucker zu werden. Das wurde mit dem Weggang seiner Eltern hinfällig und er konnte am neuen Ort weiter zur Schule gehen und Abitur machen.

 

Das war für ihn zunächst nicht einfach, weil er auf der Volksschule weder Latein- noch Englischunterricht hatte, dafür aber Russisch. Latein und Englisch musste er nachholen, Russisch hat er in einer Arbeitsgemeinschaft weiter betrieben. Er hatte durch den Umzug seiner Eltern in den Westen die Chance, Abitur zu machen und zu studieren. Eine genaue Vorstellung davon, war er anschließend werden sollte, hatte er nicht. Während seines Studiums hat er immer gearbeitet und war, wie er sagt, in einer privilegierten Position als wissenschaftlicher Hilfsassistent. Dadurch hatte er schon als Student ein regelmäßiges Einkommen und konnte sich mit dem Studium etwas Zeit lassen.


Nach dem Studium hat er sich vielfach beworben und dabei etwa 35 oder 40 Bewerbungen geschrieben. Damals hatten die großen Zeitungen, die Zeit und auch die FAZ, eine dicke Beilage mit Stellenanzeigen. Er hat sich dann entschlossen, eine Stelle an der amerikanischen Universität in Beirut im Libanon anzunehmen. Das war seiner Mutter gar nicht recht, daran kann er sich noch gut erinnern. Michael blieb vier Jahre in Beirut an der amerikanischen Universität. Er bezeichnet diese Jahre als sehr prägende Jahre. Er hatte sich schon immer für andere Mentalitäten und andere Sprachen interessiert. Und er fand, dass der Libanon „als Schmelztiegel des Nahen Ostens“ für ihn ein Paradies war, sowohl von den Sprachen her, die man dort sprach, als auch im Hinblick auf die kulturelle Vielfalt. Englisch, Französisch, Arabisch zu sprechen, war sozusagen normal und dann kamen die Minderheitensprachen dazu und die Mentalitäten.

 

Wie es der Zufall wollte, hat Michael im Libanon seine spätere Ehefrau kennengelernt, eine Neuseeländerin, die eigentlich nur auf der Durchreise war. Sie verließen nach vier Jahren gemeinsam den Libanon, um sich in Deutschland in der Nähe von Gießen niederzulassen. Bald darauf wurden sie Eltern: Die älteste Tochter wurde 1975 geboren, danach bekam das Paar noch einen Sohn und eine Tochter, die am nächsten Wohnort der Familie, Wiesbaden geboren wurden.

 

Nach der Rückkehr nach Deutschland hatte Michael zunächst in Haiger, an der nördlichen Grenze zwischen Hessen und Nordrhein-Westfalen, für wenige Jahre eine Stelle als Lehrer für Englisch und Französisch. 1976 zog die Familie in die Nähe von Wiesbaden, weil Michal eine Stelle in Wiesbaden bekam als Dezernent an dem damaligen Institut für Bildungsplanung. Es folge eine weitere berufliche Station im Ausland, in Australien in der Stadt Brisbane. Michel beschreibt diese Zeit als eine familiär sehr schöne Zeit, weil seine Frau näher an ihrem Heimatland war und sie sehr oft ihren Urlaub dort, in Neuseeland, verbrachten.

 

Die Zeit in Australien beschreibt Michael als eine phantastisch beeindruckende Zeit und Australien als ein sehr buntes Land mit vielen Einwanderern, mit vielen verschiedenen Sprachen. Es sei nicht ganz das Paradies, was sich viele deutsche Touristen dort erwarten, der Alltag sei auch nicht viel anders als in Deutschland, aber interessant fand Michael es dort dennoch sehr. Die Familie ist nach zwei Jahren wieder zurück nach Deutschland gegangen, nach Wiesbaden. Dort bekam Michael kurze Zeit später ein Angebot, in das Kultusministerium zu wechseln, was er auch getan hat. Diese Arbeitsstelle hat er dann 20 Jahre bis zu seinem Ruhestand behalten. Er hatte wechselnden Aufgaben, die aber immer für ihn hochinteressant waren. Inhaltlich waren die Aufgaben sehr anregend und sie waren auch mit vielen Begegnungen innerhalb und außerhalb Deutschlands verbunden. Es gehörten viele Reisen dazu, meistens in europäische Länder. Neben seiner Hauptarbeit hat er auch für die OECD gearbeitet und für verschiedene Goethe-Institute. Er sagt, er habe seine Arbeit immer ausgesprochen gerne gemacht und konnte sich dabei auch viel selber aussuchen.


2007 ist er mit dem 65sten Lebensjahr in den Ruhestand gegangen. Das war für ihn aber kein großer Wechsel, bis auf die Tatsache, dass er keinen Termindruck mehr hatte. Die Termine, die er dann noch hatte, konnte er sich selbst einteilen. Er hat den Eindruck, dass er sich in einer privilegierten Situation befand. Der Ruhestand war für ihn kein großer Einschnitt, er hat auch nicht darauf hingearbeitet. Er hätte eigentlich gern weitergearbeitet. Er hat es auch indirekt getan, indem er viel in Fachzeitschriften publiziert hat. Das hatte er auch schon in jüngeren Jahren getan und diese Tätigkeit hat er auch im Ruhestand fortgesetzt. Dazu merkt er an, dass man bei fachlichen Themen genau die Entwicklungen beobachten muss. Wenn man nicht fortlaufen die Diskussionen verfolgt und sich nicht beteiligt, verliert man schnell den Anschluss an sein Spezialgebiet. Man muss man sich gezielt selbst darum kümmern, beteiligt zu bleiben.

 

Michaels Einschätzung nach helfen dabei die neuen Medien ganz enorm. Was man früher in Bibliotheken recherchieren musste, fände man heutzutage über das Internet. Es gäbe den Zugang zu fast allem, was man für wissenschaftliche oder fachliche Recherche benötigt. Michael kennt sich demzufolge sehr gut darin aus, die neuen Medien für seine nachberuflichen Tätigkeitsfelder zu nutzen. Er findet es aber gleichzeitig sehr notwendig, sich Diskussionspartner zu suchen. Seiner Auffassung nach ist das Lesen zu Hause nur ein Aspekt der Aneignung eines Sachverhalts; den Austausch mit anderen hält er für enorm wichtig, um Themen besser zu verarbeiten. Er nennt noch ein weiteres nachberufliches Tätigkeitsfeld: Er hat nach dem Übergang in den Ruhestand noch viele Jahre die Frankfurter Hochschule für Musik im Bereich der Lehrerbildung beraten, nicht alleine, sondern als Teil eines Teams.


In der nachberuflichen Phase hat er seine Hobbies, die er schon immer gepflegt hat, Sprachen lernen zum Beispiel, weiter betrieben. Er besucht seit vielen Jahren einen Spanischkurs. Weiterhin hat er sich intensiv mit Philosophie beschäftigt. Das ist ein Bereich, für den ihm im Beruf immer die Zeit fehlte. Philosophie hält er für einen schwierigen Themenbereich und setzt viel Zeit für das Verständnis philosophischer Texte ein.

 

Michael ist auch weiter sportlich aktiv. Früher war er Schwimmer, Radfahrer und Läufer. Aufgrund seines Alters konzentriert er sich inzwischen auf das Radfahren. Das betreibt er mit großer Intensität, auch mit vielen Radtouren. Diese Radtouren unternimmt er mit seiner zweiten Partnerin, mit der er seit über 20 Jahren zusammen ist. Seine erste Frau lebt in der Nähe und sie treffen sich gelegentlich mit ihr. Sie unternehmen mit den Fahrrädern sowohl selbst geplante Touren, wir auch organisierte Gruppentouren.  Sie gehen auch viel spazieren und wandern, sehen gern Filme. Ins Theater gehen sie auch manchmal, aber nicht sehr oft. Sie haben einen großen Freundeskreis. Teilweise sind die Frauen für sich oder die Männer. Michael unterhält einige Männerstammtische, einerseits mit ehemaligen Kollegen, aber auch andererseits mit Freunden, die er teilweise noch aus seinen Jahren im Libanon kennt, die sich zufällig auch in der Nähe von Wiesbaden niedergelassen haben.

 

Den Morgen vor dem Interview hat er mit seiner ältesten Tochter und dem Enkel in verschiedenen Fahrradläden verbracht. Sie waren auf der Suche nach einem Integralhelm für einen Mountainbike-Kurs. Das nennt er als Beispiel dafür, dass er die Enkel nicht regelmäßig bei sich hat, aber sich dennoch viel um sie kümmert.

 

Er reflektiert dabei, dass sein Verhältnis zu seinen Enkeln ganz anders ist, als seines zu seinen Großeltern war. Vieles daran war durch die politische Lage seinerzeit bedingt, nach dem Krieg. Die Eltern seiner Mutter lebten in Berlin und er erinnert sich an viele Sommerferien dort, wo er mit anderen Kindern mit Begeisterung in den ausgebrannten Ruinen des zerstörten Berlins spielte, was für die Kinder sehr abenteuerlich war und auch sehr schön. Nach Berlin war es aber immer eine sehr lange Fahrt, so dass er keinen fortlaufenden direkten Kontakt hatte. Väterlicherseits hat er seine Großeltern nie kennenlernen können. Sie sind vor seiner Geburt schon verstorben gewesen. Sein Vater kam aus einer kinderreichen Familie, er war der jüngste von sieben Kindern. Michael hatte Onkel und Tanten, aber keine Großeltern.

 

Zu seinen eigenen Enkeln hat er viel Kontakt. Die älteste Tochter wohnt in der Nähe, so dass er ihre beiden Kinder regelmäßig sieht. Seine jüngste Enkelin, die Tochter seines Sohnes, wohnt mit ihren Eltern in Offenbach. Die jüngere seiner beiden Töchter ist Wissenschaftlern. Sie sollte eigentlich zum Zeitpunkt des Interviews in Princeton sein, ist aber Corona bedingt in Kronberg und versucht, ihre Arbeit über Internet und Videokonferenzen zu erledigen. 

 

Zu Michaels Hobbies gehört auch die Fotografie. Er hat schon als Schüler eine Arbeitsgemeinschaft Fotografie und Fotolabor besucht. Er kann daher Fotos im Säurebad und mit Rotlicht entwickeln. Heute macht er die Entwicklungsarbeit am Computer mit Bildbearbeitungsprogrammen. Er beschäftigt dabei einerseits mit der Familienchronik und legt dazu Fotoalben an, andererseits fotografiert er viel und intensiv auf Reisen und Ausflügen. An dieser Stelle erwähnt Michael, dass sein Sohn als Post Producer arbeitet, allerdings im Videobereich. Augenzwinkernd fragt er sich, ob das Interesse an Foto und Film möglicherweise genetisch bedingt sein könnte, da es ja bei ihm schon lange existiert und eines seiner Hobbies sich darauf aufbaut.

 

Auch Lesen gehört zu seinen Hobbies. Neben der philosophischen Lektüre liest er auch viel Belletristik und Lyrik. Seine eigenen Schreibprojekte sind fachbezogen. Er bearbeitet zum Zeitpunkt des Interviews einen Sammelband zur Lehrerbildung. So hält er sich in der Diskussion fit. Michael erwähnt noch, dass seine Rente reicht und er mit seiner Partnerin auch viele Reisen unternimmt, wobei er anmerkt, dass er das Glück hatte, schon während seines Arbeitslebens einen guten Teil der Welt zu sehen.


Zum Abschluss des Gesprächs bekundet Michael, dass ihn das Ergebnis des DENTA –Projekts interessiert und dabei besonders der Vergleich der verschiedenen Interviews.